Objekt Nr. 05 | Durch eine Tafel an einer Kreuzung gekennzeichnet, Schlossgarten
An der Kreuzung zweier Promenaden im Teplitzer Schlossgarten spielte sich eine der berühmtesten Legenden ab. Am 23. Juli 1812 trafen sich hier zwei Persönlichkeiten der europäischen Kultur – der „Dichterfürst“ Johann Wolfgang von Goethe und der geniale Komponist Ludwig van Beethoven – mit der Kaiserin Marie Ludovika und ihrem Gefolge.
Bettina von Arnim, eine „Salonlöwin“ des 19. Jahrhunderts, zitierte in einem Brief einem ihrer Freunde einige Jahre nach dem Tode beider Künstler nachfolgendes Zeugnis, das ihr angeblich Beethoven selbst anvertraut hätte: „Als wir gestern vom Spaziergang zurückkehrten, trafen wir die ganze kaiserliche Familie. Goethe ließ meinen Arm los und stellte sich an die Seite des Weges. Ich konnte ihn keinen Schritt weiter bewegen. So schob ich mir den Hut in die Stirn, schloss meinen Gehrock, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und ging mitten durch die Gesellschaft hindurch. Prinzen und Höflinge bildeten Spalier, Herzog Rudolf verbeugte sich vor mir und die Kaiserin grüßte als Erste…“, während sich Goethe ehrfurchtsvoll vor dem Gefolge verneigte.
Dieser Legende vom heldenhaften Komponisten und servilen Dichter gab der deutsche Maler Carl Röhling im Jahre 1887 in seiner Lithographie einen visuellen Rahmen unter der Bezeichnung „Incident in Teplitz“. Der einzige Schönheitsfehler an der ganzen Sache ist jedoch , dass sich die Begebenheit wahrscheinlich überhaupt nicht so zugetragen hat. Bettina von Arnim war eine sehr selbstbewusste junge Frau aus der höheren Gesellschaft; sie kannte Liszt, Schumann und auch Brahms. Mit Goethe verlebte sie eine platonische Beziehung, die 1806 begann, also in einer Zeit, als Bettina 21 Jahre alt war und Goethe 58. Seine Muse war sie jedoch bis zu seinem Tode. Obwohl sie selbst dichtete und komponierte, gab ihr jedoch erst die Ausgabe ihrer Briefe mit Goethe unter der Bezeichnung „Briefwechsel mit einem Kinde“ Berühmtheit. Es ist jedoch nicht sicher, welche Zitate ihrer Briefe der Wahrheit entsprachen und welche ihrer Phantasie, um die Begebenheiten interessanter zu machen.
Ebensolche Ungewissheit betrifft auch die Darstellung des berühmten Treffens. Das Original des Briefes, in dem Beethoven sein Treffen Bettina schilderte, wurde von niemandem je gesehen. Man könnte ihr deshalb unterstellen, dieses Geschichte selbst so dargestellt zu haben, dass Goethe wie ein Feigling aussähe. Doch können wir nur spekulieren, welche persönlichen Beweggründe sie dazu veranlassten.
Außer dieser berühmten Legende entstand durch dieser Treffen keine weitere Verbindung zwischen Beethoven und Goethe. Ihre Welten waren so weit voneinander entfernt, dass wir mehr als nur eine höfliche Konversation auf der Kurpromenade während ihres gemeinsamen Aufenthalts nicht erwarten können. Beethoven hielt sich 1811 und 1812 in Teplitz auf, Goethe 1810, 1812 und zuletzt noch ein Jahr später. Die Begebenheit, die Bettina von Arnim viele Jahre später in die Welt setzte, lebt aber weiter. Ihre Interpretation kann auch im Roman von Milan Kundera „Unsterblichkeit“ nachgelesen werden.
Aufnahme: Das Treffen Beethovens und Goethes mit der Kaiserin; 3:42, 3,4 MB; Drucken (PDF).
GPS: 50° 38' 9.241" N, 13° 49' 25.66" E